Prof. Cherkeh zu Art. R57 Abs. 2 CAS-Code in SpuRt Heft 5/2022

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09.10.2022

In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „SpuRt – Zeitschrift für Sport und Recht“ (Heft 5/2022, S. 351 f.) ist eine Rezension von Prof. Cherkeh zu der Dissertation von Leonie Axer (2021) mit dem Titel

 „Beweisanforderungen in der internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS).“

erschienen.

Aus der Rezension:

 „(...). Es handelt sich beim CAS nämlich keinesfalls um eine reine Revisionsinstanz, denn die Schiedsgerichte können gemäß Art. R57 Abs. 1 CAS-Code eine vollumfängliche Überprüfung aller tatsächlichen sowie aller rechtlichen Aspekte vornehmen. Diese „de novo“-Kompetenz des Schiedsgerichts führt immer wieder dazu, dass formelle Fehler des Verbandsverfahrens im Schiedsgerichtsverfahren geheilt werden aber auch dazu, dass das CAS-Schiedsgericht eine neue Entscheidung trifft, die vorangegangene Verbandsentscheidungen oder z. B. den Schiedsspruch des DISSportschiedsgerichts vollständig ersetzt. (...). Dass ein solches „de novo“-Verfahren beim CAS und speziell CAS-Appeal-Verfahren in Dopingstreitigkeiten für Sportler mit einem exorbitanten Kostenrisiko verbunden sind und dadurch den verfassungsrechtlichen Geboten effektiven Rechtsschutzes und prozessualer Waffengleichheit nicht entsprochen wird, ist ein an anderer Stelle bereits diskutierter und gravierender Effekt, der überdies zur Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen führt, die ein CAS-Appeal-Verfahren vorsehen (dazu Cherkeh / Vieweg, SpuRt 2021, 250 ff.).

Grundsätzlich begrüßt Axer die zum 1. 1. 2019 in Kraft getretene, durch das Pechstein-Verfahren angestoßene Regelung des Art. R57 Abs. 2 CAS-Code, mit dem auf Antrag einer natürlichen Person eine öffentliche Anhörung vor dem CAS durchgeführt werden kann („should be held“). Zutreffend kritisiert Axer jedoch die in dieser neuen Bestimmung zu lesenden zahlreichen Einschränkungen, die es in das Ermessen des CAS-Panels stellen, dem Antrag stattzugeben oder eben nicht. Weshalb, so Axer, soll ein Antrag auf öffentliche Anhörung verweigert werden können, wenn das Verfahren sich ausschließlich auf Rechtsfragen bezieht („.. where the proceedings are exclusively related to questions of law“)? Und weshalb soll die öffentliche Anhörung verwehrt werden können, wenn bereits in der ersten Instanz eine öffentliche Anhörung stattgefunden hatte? Dies bemängelt Axer vollkommen zu Recht.

Zumal: In der Praxis üblich und charakteristisch für „de novo“-Verfahren ist es, dass in der Berufungsinstanz vor dem CAS neue und / oder weitere Zeugen sowie Sachverständige angehört werden. Die Durchführung einer öffentlichen Anhörung darf deshalb auch in diesen Konstellationen nicht in das Ermessen des CAS-Panels gestellt werden. Dasselbe gilt für die Einschätzung des CASPanels, ob sich ein Verfahren ausschließlich auf Rechtsfragen bezieht. Denn auch diese Bewertung (Tatsachen- oder Rechtsfrage) kann über beide Instanzen höchst umstritten sein und sogar den Kern der Auseinandersetzung darstellen.

Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2103/16) hat in seinem aktuellen Beschluss vom 3. 6. 2022 die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung zum CAS wegen mangelnder Öffentlichkeit angenommen, weil Claudia Pechstein in ihrem verfassungsrechtlich verbürgten Justizgewährleistungsanspruch verletzt wurde. Ob die von Axer besprochene Neufassung des Art. R57 CAS-Code den Anspruch auf öffentliche Verhandlung gewährleistet, hat das BVerfG explizit offen gelassen, weil diese (neue) Bestimmung im CAS-Code den Fall Pechstein nicht betraf.

Mit der berechtigt formulierten Kritik von Axer und den weiteren, hier noch angeführten Aspekten wird man bei der Neufassung des Art. R57 jedoch davon ausgehen können, dass auch diese Bestimmung weder den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK noch den insoweit korrespondierenden Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs des Betroffenen genügt (...).“